terrestrisch-werden

 

The place in which I’ll fit, will not exist until I make ist.

James Baldwin 

 

Inspiriert durch Baldwins Zitat und ein Foto von Jerry N. Uelsmann, das mich bereits seit Jahrzehnten begleitet, habe ich vor einigen Tagen dieses Haus gezeichnet, das in eins geht mit dem ihm umgebenden Wurzelwerk. Es ist ein altes, baufälliges Haus, gestützt durch seine Umgebung. – Was fasziniert mich daran? Ich lese es als ein Sinnbild für den Ort, den ich mir selber erschaffe, um mich auszudehnen, zu verzweigen, – Wurzeln zu schlagen? Es ist ein Ineinandergreifen von natürlichen und kreativen Prozessen, von NaturenKulturen, wie es die Naturwissenschaftsforscherin Donna J. Haraway beschreibt. 

Orte – wurzeln
Das Zitat von Baldwin habe ich in der Sukzession Nr. V – 7/2024 in einem Text von dem Medienkünstler Daniel Fetzner vorgefunden. In Terrestrisch-werden in Geishouse beschreibt Daniel – verwoben mit biografischen Passagen –, wie er sich eine Parzelle in der elsässischen Gemeinde Geishouse mit einem Ensemble von drei umgebauten, ehemals schwedischen Saunahäusern Schritt für Schritt zu einem Refugium ausgestaltet.

Das Heft selber, die Sukzession Nr. V Orte – wurzeln hat in Geishouse Form angenommen. Daniel ebenso wie der Verleger des Heftes Derk Janßen, der Mitherausgeber Andreas Nebelung und ich haben uns zweimal dort im Elsaß zusammengefunden. Wir haben uns über Ausschnitte aus dem Buch Lebhafte Materie von Jane Bennett, einen ZEIT-Artikel von Bruno Latour Der Planet rebelliert. Der Boden unter unseren Füßen schwindet und über unsere eigenen Sukzessions-Beiträge ausgetauscht. Spaziergänge zwischendrin mit Blick auf den Grande Ballon waren inbegriffen. Ebenso wie die Bewirtung in einer nahegelegenen Auberge. Beim ersten Treffen war ebenfalls Tomas Wald vom Freiburger Roma Büro mit dabei.

Mein eigener Text trägt – wie bei Daniel – persönliche Züge. In Ars Memoriae – Terristrisch-werden in der Bodenlosigkeit folge ich auf biografischen Umwegen Vilém Flussers philosphischer Autobiografie Bodenlos. Während es den Prager Juden während des Zweiten Weltkriegs nach São Paulo trieb, bin ich selber in der zweiten Generation einer Familie aufgewachsen, die kurz vor dem Berliner Mauerbau aus der damaligen DDR nach Westdeutschland emigrierte. Das Gefühl der Bodenlosigkeit, wenn auch nicht in vergleichbar existentieller Weise wie bei Flusser, hat mich zeitlebens geprägt. Dabei treibt mich Latours Wendung vom terrestrisch-Werden, wie es Daniel in seinem Sukzession-Beitrag näher ausführt, ebenfalls um. Es geht um eine andere Form des in-der-Welt-Seins angesichts dessen, dass uns „der Boden unter den Füßen schwindet“, wie es Latour aufgrund des menschenverursachten Klimawandels beschreibt. Geht es um eine Metanoia? Einen Mindshift? Was beinhaltet diese veränderte Denkbewegung?

Baldwin – und Gaïa?
Ich lese zur Zeit eine Biografie über Baldwin. In der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lebensgeschichten stellt sich mir immer wieder die Frage, was geschieht, wenn ich mich solcher prägnanten Aussagen – wie der von Baldwin zu Beginn dieses Textes – kontextunabhängig bediene. Die Erfahrungen, die der US-amerikanische Schriftsteller zum Ausdruck bringt, wenn er davon spricht, dass er keinen Ort finden wird, wenn er sich ihn nicht selber erschafft, sind in keiner Weise mit meinen Erfahrungen zu vergleichen. Zeit seines Lebens hat er gegen Rassismus angekämpft, hat sich gegen die Diskriminierung als schwarzer, schwuler Mann verwehrt. Sein Werk hat Menschen unterschiedlicher Herkünfte inspiriert. So auch mich.

Inwiefern haben solche Gedanken etwas mit der von der Genetikerin Lynn Margulis und dem Geografen James Lovelock entwickelten Gaia-Hypothese zu tun? Diese evolutionstheoretische Hypothese besagt, das sich jedwedes Lebewesen in Relation zu anderen entwickelt. Dabei wendet sich Margulis kritisch gegen die üblichen Annahmen, dass Evolution auf Konkurrenz beruhe. Ihrer Meinung nach stellt dieses Verständnis eine Verzerrung biologischer Gegebenheiten dar, die sich im Zuge eines kapitalistischen Weltverständnisses ergeben habe und zu Fehlinterpretationen von Entwicklungsgeschichte(n) führe. In diesem Sinne ermöglicht mir Baldwin, Perspektivwechsel vorzunehmen, Perspektivwechsel auf Entwicklungsgeschichte(n).